Abgemeldet
Ein Blick in den Maschinenraum eines ungebundenen Lebens
Es gibt Texte, die man nicht schreibt, weil man Lust darauf hat, sondern weil man ihnen irgendwann nicht mehr ausweichen kann.
In den letzten Monaten haben wir versucht, ein Leben zu organisieren, das im deutschen System nicht vorgesehen ist - ein Leben ohne Adresse, ohne festen Ort, ohne die üblichen Fixpunkte, an denen ein Leben normalerweise aufgehangen ist.
Und viele von euch haben irgendwann gefragt, mit einer Mischung aus Staunen und Pragmatismus: Wie funktioniert das eigentlich - ohne Wohnsitz? Wie macht ihr das mit Steuern, Krankenversicherung, Schule, Banken, Auto, Telefon?
Jedes Mal suchte ich nach zwei klaren Sätzen - Sätzen, die man im Kopf behalten kann, die irgendwie nach „so geht das“ klingen. Aber kaum hatte ich begonnen zu antworten, lösten sie sich auf in Regeln, Ausnahmen und Reihenfolgen.
Inzwischen glaube ich: Manchmal hilft es, die Motorhaube anzuheben und einen Blick in den nach altem Öl und warmem Metall riechenden Maschinenraum zu werfen. Zu sehen, wie Adressen, Pflichten, Versicherungen und Zuständigkeiten tatsächlich ineinander greifen.
Man kann dieses Geflecht nicht hinter sich lassen und einfach losfahren. Man muss das gesamte Antriebsaggregat einmal komplett auswechseln.
Genau das haben wir getan - Stück für Stück.
Deshalb tue ich heute etwas, das ich gewöhnlich vermeide: Ich öffne unseren Maschinenraum. Nicht, weil ich glaube, dass es der beste Weg ist. Nicht, um jemandem zu zeigen, wie er es machen sollte. Sondern weil unser Weg vielleicht ein Bezugspunkt sein kann - für Menschen, die irgendwann in einer ähnlichen Verlegenheit stehen.
Meldeadresse
Fangen wir mit dem an, an dem der ganze deutsche Behördenapparat hängt. Mit der Schnittstelle zwischen Staat und Bürger. Man mag es nicht glauben, aber diese Schnittstelle ist eine kleine Zeile, unscheinbar und leicht zu übersehen: die Meldeadresse.
Sie wirkt wie eine formale Angabe - eine Art Info zum Verbleib, die man eben einträgt, weil das Formular sie verlangt. Die meisten Menschen beschäftigen sich damit höchstens beim Umzug: Abmeldung, Anmeldung, fertig.
So einfach ist es nicht. Diese eine Zeile steuert in Deutschland mehr Systeme, als man vielleicht vermuten würde. Fast jeder Vorgang im Amt beginnt mit derselben Frage: „Wo wohnen Sie?“
Und bei dieser Frage geht es nicht darum, dass die Dame im Amt gern wissen will, wo du wohnst. So attraktiv bist du nicht. Sie will wissen, ob sie für dich zuständig ist!
Und die Antwort entscheidet nicht nur darüber, wer für wen zuständig ist, sondern oft sogar darüber, ob überhaupt irgendjemand zuständig ist.
Das ist überhaupt die Kardinalfrage im Amt: Bin ich dafür zuständig?
Das Meldeamt ist kein Postamt. Und die Meldeadresse ist nicht zwingend der Ort, an dem du lebst. Das kann so sein, muss es aber nicht. Sie ist ein Koordinatensystem - ein Kompass, der bestimmt, durch welche Türen man geführt wird und durch welche nicht.
An dieser einen Zeile hängt eine überraschende Menge:
Zuständigkeiten: welches Finanzamt sich zuständig fühlt, welche Zulassungsstelle dein Auto betreut, welches Schulamt deine Kinder „sieht“, welcher Landkreis dich verwaltungstechnisch einsortiert.
Pflichten: Schulpflicht. Krankenversicherungspflicht. Unbeschränkte Steuerpflicht - immer in Verbindung mit deinem tatsächlichen Aufenthalt.
Verifikationen: Bankkonten, Unternehmensgründungen, SIM-Registrierungen, digitale Identitäten.
Rechte und Ansprüche: Förderungen, Familienkassen, Bescheinigungen.
Vieles gibt es nur, wenn man irgendwo amtlich verortet - wenn man irgendwo gemeldet ist. Die Meldeadresse ist der still arbeitende Generator aller Zuständigkeiten. Fällt sie weg, entsteht eine Art administratives Vakuum, in dem Prozesse zwar vorgesehen, aber niemandem mehr zugeordnet werden können.
Abmeldung
Um ein nomadisches Leben führen und all diese Verflechtungen hinter sich lassen zu können, muss man zunächst dafür sorgen, dass niemand mehr für einen zuständig ist.
Dieser Prozess heißt Abmeldung. Es gibt dafür sogar ein Formular: die Abmeldebestätigung. Auch der Austritt aus der Bürokratie ist ein bürokratischer Akt. Ein Termin. Ein Schalter. Ein Formular. Ein paar routinierte Nachfragen.
Wir standen in diesem kleinen Raum, der vertrauten Mischung aus Neonlicht, grauen Ordnern und dem Geruch von kopiertem Papier. Es war einer dieser Amtsräume, in denen alles sauber, aber nichts lebendig wirkt.
Die Abmeldung selbst dauerte nur wenige Minuten. Personalausweise, Geburtsdaten, ein paar Rückfragen, ob wir wirklich ins Ausland ziehen würden und wohin genau. Wir sagten die Wahrheit: wir reisen und bleiben nirgends länger. Ein knappes Nicken, weiter nichts. Solche Sätze passen nicht gut in Formulare.
Am Ende hielten wir vier Abmeldebestätigungen in der Hand. Auf unseren Personalausweisen steht seitdem: „ohne Wohnsitz“ - ein kurzer Satz, der in der Realität lange Schatten wirft.
Ein Stempel, zwei Unterschriften - und plötzlich fallen ganze Verwaltungslogiken in sich zusammen. Die Schulpflicht. Die Krankenversicherungspflicht. Der automatische Zugriff des Finanzamts, gespeist aus dem Verdacht, man sei „eigentlich“ noch da.
Nichts verschwand sofort. Aber die Richtung änderte sich. Wir hatten keine Meldeadresse mehr - und mit ihr verschwand unser Anker im System.
Reihenfolgen
Doch Vorsicht: Die Vorstellung, man könne das deutsche System mit einem einzigen Formular und einem Stempel hinter sich lassen, ist verlockend - die Realität ist es nicht.
Paradoxerweise braucht das Aufsetzen neuer Strukturen genau das, was man eigentlich hinter sich lassen wollte: eine Meldeadresse. Sie ist das letzte Element des alten Lebens - und zugleich die Voraussetzung dafür, dass das neue überhaupt entstehen kann. Man braucht sie, bis man sie nicht mehr braucht.
Man kann also nicht einfach geradewegs auf den Ausgang zugehen, sondern muss im Flur erst mehrere Türen öffnen, kurz “Hallo” sagen, bevor man das Haus wirklich verlassen kann.
Auf die Reihenfolge kommt es an.
Für uns bedeutete das: Noch bevor wir den Schritt der Abmeldung gehen konnten, mussten wir alles aufsetzen, was später nicht mehr an deutsche Raster gebunden sein sollte.
Wir brauchten eine Gesellschaft, um als Wirtschaftspartner online agieren zu können. Dazu braucht es einen Identitäts- und Adressnachweis. Ohne Firmenkonto geht auch nichts. Und dort sieht es nicht anders aus.
Digitale Dienste, die für die Einrichtung eine deutsche Adresse oder eine SMS-Verifizierung verlangen, mussten eingerichtet werden - später stehen diese Mechanismen nicht mehr zur Verfügung. Auch unsere private Finanzstrukturen hängen bei der Erstanmeldung oft an noch genau den Nachweisen, die später wegfallen.
Vieles, was einmal eingerichtet werden muss, stützt sich anfangs auf die Adresse, die man später verliert.
All das musste bereit stehen, bevor wir wirklich „ohne Wohnsitz“ sein konnten. Wer zu früh geht, landet in einer Grauzone, in der weder das alte noch das neue System funktioniert.
Fahrzeuge
Eines der Ämter, das direkt an der Meldeadresse hängt, ist die Kfz-Zulassungsstelle. Und auch hier zeigte sich wieder, dass die Reihenfolge entscheidend ist.
Wir sind mit unserem Fahrzeug und einem Anhänger unterwegs. Beide haben ein Kennzeichen, beide eine gültige Zulassung. Ohne Zulassung wäre jede Fahrt illegal - ein Sachverhalt, den man selten hinterfragt.
Wie funktioniert das also - ohne Meldeadresse? Geht das überhaupt?
Zum Glück geht das. Die deutsche Bürokratie hat dafür sogar eine eigene Konstruktion, die klingt, als stamme sie aus einem Verwaltungsroman der 80er Jahre: die empfangsbevollmächtigte Person.
Sie ist in der FZV vorgesehen (§75), für alle Fälle, in denen ein Halter keinen Wohnsitz in Deutschland hat und die Behörden dennoch jemanden brauchen, der Post entgegennehmen darf.
Der Gedanke dahinter ist schlicht: Hat der Halter keinen Wohnsitz, braucht das Fahrzeug einen. Es braucht eine Meldeadresse, an die Entscheidungen, Bescheide oder Sanktionen gesendet werden können - und die festlegt, wer dafür zuständig ist.
Für uns war das zunächst kein Problem. Wir wollten meine Mutter eintragen lassen — eine klare, naheliegende Lösung. Doch wie so oft in der deutschen Verwaltung stand die Theorie auf unserer Seite, die Praxis eher nicht.
Ich schrieb also die Zulassungsstelle Meißen an, die nach unserer damaligen Meldeadresse für solche Belange zuständig war. Ich ging davon aus, dass das in wenigen Minuten erledigt sei. Ein Formular, eine kurze Bestätigung - fertig.
Stattdessen entwickelte sich daraus ein kleiner Verwaltungsroman.
Die Antwort aus Meißen begann harmlos, fast höflich-technisch. Doch je weiter ich las, desto absurder wurde die Logik. Man sei nicht zuständig, hieß es.
Im Kern stand dort - und ich muss das hier zitieren:
„Das Fahrzeug müsste aufgrund des Hauptwohnsitzes der empfangsbevollmächtigten Person nach Dresden umgeschrieben werden … jedoch ist mit einer solchen Eintragung grundsätzlich keine Umschreibung verbunden.“
Eine Umschreibung, die keine ist. Ein Verwaltungsakt, der auf dem Papier existiert und gleichzeitig nicht existiert.
Das Problem ließ sich in drei Sätzen beschreiben - lösen ließ es sich damit nicht:
a) Solange ich in Meißen gemeldet war, durfte Meißen keine empfangsbevollmächtigte Person eintragen - denn dafür müsste ich ohne Wohnsitz sein.
b) Dresden wiederum konnte die Eintragung nicht übernehmen, weil ich noch in Meißen gemeldet war und deshalb nicht in seine Zuständigkeit fiel.
c) Wäre ich jedoch abgemeldet gewesen, bevor eine empfangsbevollmächtigte Person eingetragen wurde, hätte das Fahrzeug die Zulassung verloren und hätte neu zugelassen werden müssen. Und nicht auf mich - ich hätte ja keine Meldeadresse mehr gehabt und damit kein Amt, das für mich zuständig gewesen wäre.
Ein Auto, ein Halter, eine mögliche Empfangsberechtigte - alles ordnungsgemäß. Nur kein Amt, das sich zuständig erklären konnte. Verwaltung als Möbiusband.
Am Ende fanden wir dennoch eine Lösung - nicht durch Logik, sondern weil das System irgendwann einfach nachgab. Dresden übernahm den Fall, meine Mutter wurde als Empfangsberechtigte eingetragen, und das Fahrzeug blieb formal auf meinen Namen angemeldet. Es hat nun einen administrativen Wohnsitz.
Die Kfz-Versicherung dagegen war eine selten unkomplizierte Angelegenheit. Für sie zählt nicht die Meldeadresse, sondern der Halter und eine erreichbare Postanschrift. Einmal eingetragen, lief die Police weiter - als wäre nichts geschehen.
Und dann die HU.
Wenn man genau hinsieht, ist der TÜV ein rein deutsches Ritual - gültig und relevant nur auf deutschen Straßen. Außerhalb Deutschlands fährt man einfach als ausländisch zugelassenes Fahrzeug, und niemand interessiert sich für die Prüfplakette.
Solange das Fahrzeug also in Deutschland zugelassen ist, aber nicht auf deutschem Boden bewegt wird, bleibt alles problemlos - ganz ohne regelmäßige HU.
Einen kleinen Haken hat die Sache dennoch. Die Erlaubnis gilt nicht unbegrenzt. Viele Länder verlangen nach rollierenden sechs Monaten Aufenthalt, dass ein Fahrzeug lokal zugelassen wird. Wo das Auto länger bleibt, dort wird es - Stück für Stück - zum „Einheimischen“.
Solange wir uns nicht dauerhaft in einem einzelnen Land niederlassen - und solange wir nicht nach Deutschland zurückkehren, gilt im Kern Folgendes:
– Die HU ist nur bei Fahrten in Deutschland relevant.
– Im Ausland interessiert sich niemand für die deutsche Prüfplakette.
– Eine neue HU wird erst relevant, wenn wir wieder nach Deutschland hineinfahren.
Mobilität im deutschen Sinne ist ein verwaltungstechnischer Zustand - kein physischer. Personen können sich abmelden, Fahrzeuge nicht - selbst wenn sie längst woanders stehen.
Damit verlassen wir die Straße und wenden uns dem Thema Steuern zu.
Steuern
Steuern gelten als selbstverständlich, fast wie eine naturgegebene Tatsache. Doch je genauer wir hinsahen, desto deutlicher wurde uns, dass sie strukturell etwas anderes sind: eine Abgabe ohne Zustimmung, abgesichert durch harte Sanktionen – also eine Form von Raub.
Viele empfinden die Last, doch das Wort ‚Raub‘ gilt als überzogen. Schließlich müsse jemand die Straßen bauen, die Schulen betreiben, die Bedürftigen versorgen.
Das erinnert an Robin Hood: nehmen, um zu geben. Auf dem ersten Blick edel - auf den zweiten zu schlicht, um als Begründung zu tragen. Ein Staat, der jeden zweiten erwirtschafteten Euro beansprucht und dennoch viele Aufgaben schlechter erfüllt als private Initiativen, kann sich auf diese moralische Erzählung kaum berufen.
Wie kommt man da raus? Falls das überhaupt möglich ist.
Um das deutsche Steuersystem zu verstehen, muss man sich von der Vorstellung lösen, dass die Meldeadresse über die Steuerpflicht entscheidet. Das tut sie nicht. Sie ist lediglich ein Hinweis, ein Ankerpunkt - ein Verdacht.
Die steuerliche Logik greift tiefer als viele andere Bereiche der Verwaltung. Die Meldeadresse bestimmt lediglich das zuständige Finanzamt, nicht jedoch über die Frage, ob jemand steuerpflichtig ist oder nicht.
Dafür gibt es ein weiteres Monstrum - Kafka hätte seine Freude daran gehabt: der Wohnsitz im steuerlichen Sinne. Und dieser unterscheidet sich sehr feinsinnig, aber ganz entscheidend von dem, was im Melderegister steht.
Ein steuerlicher Wohnsitz ist jede Wohnung, zu der man jederzeit Zugang haben könnte. Es geht dabei nicht darum, wo man lebt, sondern darum, wo man leben könnte.
Ein Schlüssel genügt. Eine Übernachtungsmöglichkeit ebenso. Manchmal genügt schon die Aussicht, sie jederzeit nutzen zu können.
Das erklärt, warum Ehen, Kinderzimmer oder Gästezimmer so leicht zu steuerlichen Ankerpunkten werden. Die Steuer fragt nicht: „Wo halten Sie sich derzeit auf?“ Sie fragt: „Wo könnten Sie sich aufhalten, wenn Sie wollten?“
Solange diese Frage mit „in Deutschland“ beantwortet werden kann, gilt die unbeschränkte Steuerpflicht - selbst dann, wenn man dort weder wohnt noch gemeldet ist. Man könnte es perfide nennen - und hätte damit nicht Unrecht.
Unbeschränkte Steuerpflicht heißt: Das Finanzamt darf das gesamte weltweite Leben besteuern. Nicht nur den Teil, der im Inland entsteht - sondern alles.
Die Abmeldung aus dem Melderegister ändert daran zunächst nichts. Sie beseitigt nur den offensichtlichsten Zugriffspunkt - nicht aber die juristische Möglichkeit des Zugriffs.
Deshalb war für uns klar: Nicht nur die Meldeadresse musste weichen, sondern auch alle anderen Türen, die irgendwo noch offen waren. Kein Schlüssel in der Tasche, keine Hintertür, kein Zimmer, das „für den Fall der Fälle“ bereitsteht.
Ohne steuerlichen Wohnsitz ist man noch nicht aus dem System. Es bleibt der gewöhnliche Aufenthalt - ein Konstrukt, das Kafka sofort verstanden hätte.
Ein gewöhnlicher Aufenthalt liegt vor, wenn man sich mehr als 183 Tage pro Kalenderjahr im Land aufhält. Nicht dort wohnt, sondern dort physisch präsent ist.
Unbeschränkt steuerpflichtig ist man also nicht, weil man irgendwo gemeldet ist, sondern weil man entweder in Deutschland leben könnte - oder weil man sich zu lange dort aufhält.
Selbst wenn weder Wohnsitz noch Aufenthaltsdauer greifen, ist man noch immer nicht aus dem System. Neben der unbeschränkten, gibt es noch die beschränkte Steuerpflicht.
Sie entsteht, sobald wirtschaftliche Bindungen nach Deutschland fortbestehen. Ein Beispiel dafür ist die Vermietung einer deutschen Immobilie. Auch Kapitalerträge fallen darunter, wenn die auszahlende Stelle in Deutschland sitzt. In solchen Fällen besteuert Deutschland die inländischen Einkünfte - nicht jedoch das weltweite Leben.
Für Nomaden ist das häufig der unkompliziertere Zustand - vorausgesetzt, man wählt einen passenden Broker. Dennoch bleibt es ein Band, das sichtbar bleibt.
Wenn wirtschaftliche Bindungen nach Deutschland bestehen - etwa Anteile an einem Unternehmen oder Immobilien, lässt sich die beschränkte Steuerpflicht nicht ohne Weiteres lösen.
Und genau hier lauert ein weiteres Monstrum der deutschen Steuerbürokratie: die Wegzugssteuer – ein Schatten, den Deutschland ausreisenden Steuerpflichtigen mit auf den Weg gibt.
Wer etwa mit Beteiligungen an Kapitalgesellschaften wegzieht, wird vom deutschen Staat so behandelt, als hätte er seine Anteile verkauft - unabhängig davon, ob ein solcher Verkauf tatsächlich stattgefunden hat.
Der Staat besteuert also einen fiktiven Gewinn auf einen Verkauf, der in vielen Fällen nie erfolgt.
Für uns war das ein weiterer Grund, alle deutschen Unternehmensstrukturen rechtzeitig aufzulösen und nur noch Formen zu nutzen, die keine Betriebsstätte in Deutschland begründen.
All diese Ebenen - steuerlicher Wohnsitz, Aufenthalt, wirtschaftliche Bindungen, Wegzug - greifen ineinander. Und erst wenn man sie versteht und einordnet, entsteht ein klares Bild.
Wir haben diese Punkte für uns geklärt: kein Wohnsitz in Deutschland, auch kein “steuerlicher”; keine Aufenthalte über 183 Tage; keine Betriebsstätte; keine Immobilien oder Anteile; kein Broker in Deutschland.
Und damit zahlen wir keine Steuern mehr - abgesehen von den Verbrauchssteuern, die jeder Reisende unterwegs entrichtet. Was bleibt, sind die Steuererklärungen für die letzten beiden Jahre. Davor drücken wir uns ein wenig. Doch auch das hat ein Ende.
Internationales Unternehmen
Das Thema Steuern führt zwangsläufig zum Thema Unternehmen. Wir bleiben aktiv, allerdings nicht angestellt, sondern selbstständig.
Wie organisiert man das?
Unternehmen wirken auf den ersten Blick ortsgebundener als Menschen. Und das wurde uns erst klar, als wir unser berufliches Leben von der Geographie lösen wollten.
Eine typische deutsche Firma - ob Gewerbe, GmbH oder UG - schafft sofort eine feste Verbindung zum deutschen Steuersystem. Sie hat einen Sitz, eine Adresse, eine Betriebsstätte.
Und die Betriebsstätte wirkt wie ein Magnet: Sie bindet steuerliche Pflichten, Abläufe, Zuständigkeiten. Ein Unternehmen ist nie nur ein Unternehmen. Es ist eine Koordinate - und diese Koordinate zieht alles an sich.
Wir wollten mobil arbeiten, ohne dass ein Ort unsere Strukturen bestimmt. Wir wollten nicht reisen und gleichzeitig eine juristische Hausnummer in Deutschland mitführen. Wenn Unternehmen steuerlich wie Koordinaten wirken, dann muss man sie anders bauen.
Einen Ausweg bietet hier die Personengesellschaft.
Kapitalgesellschaften wie eine GmbH oder UG gelten als eigene Steuereinheiten. Sie werden dort besteuert, wo sie ihren Sitz und ihre Betriebsstätte haben - unabhängig vom Aufenthaltsort der Gesellschafter. Das ist das, was wir nicht wollen.
Personengesellschaften funktionieren anders: Sie sind steuerlich transparent. Die Gewinne fließen zu den Gesellschaftern weiter, und besteuert werden sie dort, wo diese ansässig sind - falls sie irgendwo ansässig sind. Die Gesellschaft selbst ist eher ein rechtlicher Rahmen als ein steuerlicher Akteur.
Für Menschen ohne festen Wohnsitz ist das eine passende Architektur.
Die passenden Formen dafür sind angelsächsische LLCs oder LLPs. Diese Gesellschaften sind steuerlich durchlässig - und damit für Finanzämter weitgehend irrelevant.
Die beiden „L“ stehen für „limited liability“ - also für die “beschränkte Haftung”. Anders als bei deutschen Personengesellschaften wie einer GbR oder einem Einzelunternehmer haftet hier die Gesellschaft und nicht der Gesellschafter mit seinem Privatvermögen. Ein ganz klarer Vorteil.
Es gibt verschiedene Gesellschaftsformen, die für uns infrage kamen: eine US-LLC, eine LLP in British Columbia (Kanada) und einige weitere. Wir haben uns schließlich für eine britische LLP mit Sitz in London entschieden - weniger aus Liebe zum britischen Recht als aus pragmatischen Gründen:
– Eine britische LLP ist international etabliert und für Geschäftspartner verständlich.
– Sie gilt rechtlich als Personengesellschaft und ist damit steuerlich transparent.
– Sie benötigt kein Mindestkapital und lässt sich unkompliziert gründen.
– Großbritannien besteuert LLP-Gewinne nur, wenn dort tatsächlich wirtschaftliche Aktivität stattfindet - was in unserem Fall nicht gegeben ist.
Für uns war die UK-LLP die passende Form: rechtlich stabil, international einordbar und steuerlich flexibel. Gegründet haben wir sie über Launchese - günstiger als eine Reise nach London, mit Adresse, Postnachsendung und optionaler britischer Telefonnummer.
Auch für die Gründung einer Personengesellschaft im Ausland ist ein Identitäts- und Adressnachweis erforderlich. Wer diesen Weg gehen möchte, sollte das vor der Abmeldung erledigen.
Wir haben die Firma daher zuerst gegründet, dann die Strukturen aufgebaut, das Geschäftskonto eröffnet - und uns erst abgemeldet, als alles stand und funktionierte. Erst die Plattform, dann der Sprung.
Und weil eine Firma nur so beweglich ist wie ihre Konten, stellte sich als Nächstes die Frage, wie Banking ohne Wohnsitz funktioniert.
Banken
Für unseren Lebensentwurf wären klassische deutsche Banken auf Dauer keine Option gewesen.
Ohne Meldeadresse erfüllen wir zentrale Compliance-Vorgaben nicht, die für diese Institute obligatorisch sind: stabile Adressdaten, regelmäßige Verifikationen, eindeutig zuordenbare Steuerzuständigkeiten.
Deutsche Banken melden automatisch an das jeweils zuständige Finanzamt. Dieses System setzt voraus, dass es ein zuständiges Finanzamt gibt - gebunden an einen Wohnsitz.
Ein Teil der Sicherheitskommunikation läuft weiterhin über physische Briefe: PINs, Ersatzkarten, Freischaltcodes. Ohne feste Adresse greifen diese Prozesse nicht. Das Konto wird dann zum Ausnahmefall, der manuell geprüft werden muss.
Ohne Wohnsitz würde jede Kontoaktivität zum Sonderfall - TANs, Karten, alles. Für uns und für die Bank kaum sinnvoll abbildbar.
Also brauchten wir eine Bank, die nicht am Wohnsitz hängt - und idealerweise nichts an ein Finanzamt meldet. Von diesem Zugriff hatten wir uns ja gerade erst gelöst.
Neobanken wie Wise oder Revolut bieten hier eine Alternative. Ihre Systeme basieren nicht auf territorialen Meldewegen, sondern auf digitaler Identifikation. Die Prüfung richtet sich nach Identität und Risikoprofil, nicht nach dem Aufenthaltsort.
Entscheidend ist, wer man ist - nicht, wo man wohnt. Karten lassen sich weltweit verwalten, Konten bestehen unabhängig von Grenzen, und Überweisungen folgen keiner nationalen Logik mehr.
Neobanken lösen damit genau die Probleme, an denen klassische Systeme strukturell hängen. Für ein mobiles Leben ist das keine Erleichterung - es ist die passende Infrastruktur.
Für unsere Arbeit ist ein Geschäftskonto unverzichtbar. Ohne ein verifizierbares Business-Konto laufen weder Stripe noch PayPal, und auch Zahlungsabwicklung oder Buchführung funktionieren nicht. Alles hängt an einer Bankverbindung, die stabil arbeitet und international akzeptiert wird.
Und genau dort wären klassische Banken für uns zum Hindernis geworden.
Für die Eröffnung eines Geschäftskontos verlangen klassische Banken eine feste Meldeadresse, klare steuerliche Zuständigkeiten und regelmäßige Verifizierungen.
Ohne Wohnsitz, ohne deutsches Finanzamt und mit einer LLP als Struktur im Hintergrund wäre dieser Prozess kaum durchführbar gewesen - und wohl mehrfach gescheitert.
Also eine Neobank.
Wise Business galt lange als Standard für mobile Selbstständige. Doch in den letzten Jahren wurden die Prüfprozesse dort spürbar verschärft.
Im Antragsprozess sollten wir Verbrauchsrechnungen auf den Namen unserer LLP vorlegen - etwas, das wir schlicht nicht konnten, weil wir weder ein Büro noch einen festen Versorgungsanschluss haben.
Damit war Wise Business für uns de facto keine Option mehr.
Revolut Business erwies sich dagegen als die praktikablere Lösung. Die Identitätsprüfung war digital, die Anforderungen passten zu unserem Unternehmensmodell, und selbst ein kleines technisches Problem ließ sich innerhalb weniger Tage mit dem Support klären.
Am Ende war die Entscheidung weniger strategisch als schlicht pragmatisch: Revolut war die Bank, bei der es funktionierte.
Auch privat bleibt Revolut unser zentrales Konto - mit Gemeinschaftskonto und Kinderkonten, alles in einem System, das ohne Postwege auskommt und keine nationale Logik mehr braucht.
Wise und Monese bleiben als zweite Linie bestehen. Nicht aus Misstrauen, sondern aus Redundanz: mehr Karten, mehr Wege, mehr Optionen, falls das Leben im Ausland mal aus dem Takt gerät.
Wer unterwegs lebt, plant nicht für den Normalfall, sondern für das Unerwartete.
Bildung
Nachdem unsere beruflichen Strukturen standen, blieb ein letztes großes Thema: die Schulpflicht. Sie stand wie ein Echo aus unserer Vergangenheit im Raum - eine rechtliche Spur, die nicht verschwunden war, nur weil wir sie pädagogisch längst hinter uns gelassen hatten.
Unsere Auseinandersetzung mit dem deutschen Schulsystem begann lange vor der Abmeldung. Nicht abrupt, nicht ideologisch, sondern als Ergebnis vieler schwerer Monate, in denen wir sahen, wie unsere Kinder tatsächlich lernen - und wie sie im klassischen System um alles ringen mussten.
Nathan fand sich in einem schulischen Rahmen wieder, der ihn eher erschöpfte als förderte. Das Klassenzimmer war für ihn kein Raum des Lernens, sondern ein Ort permanenten Drucks.
Das hat die Direktorin seiner - evangelischen! - Schule auch so gesehen und den Schulvertrag aus einem vorgeschobenen Grund gekündigt. “Würde ist kein Konjunktiv.” steht auf einem großen Banner im Innenhof des neuen, hellen Schulgebäudes.
Nach längerem Rechtsstreit in erster und zweiter Instanz kam es zu einem Vergleich. Danach folgte die Suche nach Alternativen. Keine funktionierte.
Bei Helena war es anders, aber mit ähnlichen Konsequenzen. Sie lernt schnell, jedoch nicht im Tempo einer Klasse und nicht im Takt einer ordnungsfixierten Lehrerin.
Sie braucht Raum, Ruhe, Zeit - und vor allem die Freiheit, Themen zu vertiefen, statt sie nach festen Minutenplänen abzuhaken. In der Schule war sie eine Zahl in einer Liste. Zuhause war sie wieder ein Mensch.
Der Punkt, an dem sich für mich alles wendete, war ein Gespräch mit einer Mitarbeiterin des Schulamts - kinderlos - die mir ernsthaft erklärte, es sei in Deutschland vorgeschrieben, dass meine eigenen Kinder von staatlich ausgebildeten Lehrern unterrichtet werden müssten. Selbst dann, wenn diese Lehrer nachweislich weniger kompetent sind als ich - ihr Vater.
Und wenn ich das nicht akzeptiere, hieß es weiter, drohe ein hohes Bußgeld und schließlich eine “behördlich veranlasste Zuführung”.
An diesem Tag war für mich klar, dass eine Grenze überschritten worden war. Ein Amt - finanziert aus Steuermitteln und mit einem Anspruch, der weit über seinen Auftrag hinausgeht - hat in unserem Familienleben nichts verloren und hat schon gleich gar nicht über unsere Kinder zu verfügen. Nie mehr.
Die Schulpflicht ist ein Verwaltungsakt und kein Bildungsversprechen. Sie orientiert sich nicht an Fähigkeiten, Bedürfnissen oder familiärer Verantwortung. Sie ist ein Mechanismus, der Kinder einsortiert, nicht schützt.
Unsere Kinder hatten längst Wege gefunden, die für sie funktionierten. Der Staat hielt dagegen an einer Logik fest, die mit ihnen nichts zu tun hatte.
Die Abmeldung löste den rechtlichen Knoten, der uns über Monate festgehalten hatte. Pädagogisch änderte sie nichts - außer dass endlich kein Amt mehr versuchte, uns zu bevormunden, uns wie Deppen zu behandeln und uns die Kontrolle über unsere eigenen Kinder streitig zu machen.
Dieser Schritt brachte Klarheit, Freiheit und vor allem Ruhe. Nicht im Sinne des Rückzugs, sondern im Sinne einer Verantwortung, die wir ohnehin längst selbst übernommen hatten.
Im Moment nutzen wir im Homeschooling vorwiegend die Anton-App. Gegen eine kleine Jahresgebühr lässt sich dort eine Familiengruppe mit verschiedenen Rollen einrichten: Anja und ich fungieren als Lehrer und stellen den Kindern die Aufgaben für die Woche bereit. Wir können dann online sehen, wie sie vorankommen und wo es hakt - und entsprechend reagieren.
Eine Schwäche ist, dass die Lektionen nach Klassenstufen geordnet sind - und damit der Logik des deutschen Lehrplans folgen.
Für unsere Zwecke wäre eine thematische Ordnung viel sinnvoller. In der Mathematik zum Beispiel sind für uns vor allem die Prozent- und Zinsrechnung entscheidend - später auch Wahrscheinlichkeit. Geometrie dagegen spielt eine geringere Rolle.
Lehrpläne folgen solchen Mustern nicht. Jede Klassenstufe besteht aus einer Themenkarawane, die jährlich ihre Runde dreht. Sie zieht von Dorf zu Dorf, hält kurz an, schaut sich ein bisschen was an und verschwindet wieder.
Wir lassen sie ziehen und haben unsere eigene Route. Das ist nicht arrogant, sondern Ausdruck der Einsicht, dass Tiefe nur entsteht, wenn man auch mal stehenbleiben darf.
Krankenversicherung
In Deutschland ist es undenkbar, nicht versichert zu sein. Die Krankenversicherung ist ein Pflichtsystem.
Man tritt nicht ein, weil man das möchte, sondern weil man das muss. Für viele funktioniert das Modell, weil ihr Leben dem Raster entspricht, für das es gebaut wurde: fester Wohnsitz, regelmäßige Arztbesuche, eine klare Zuordnung zu GKV oder PKV.
Als „Arbeitnehmer“ ist man quasi automatisch in einer GKV - in der „gesetzlichen“. Der Begriff deutet an, wer hier die Regeln macht. Eine “Versicherung”, deren Beiträge direkt vom Lohn abgehen, ohne dass man den geringsten Einfluss darauf hätte. Man kann zwar wechseln - einmal im Jahr, aber nicht kündigen.
Und der zwangsentrichtete Beitrag richtet sich nicht danach, welche Risiken man einzugehen bereit ist oder welche Absicherung man persönlich wünscht. Er richtet sich nach dem Gehalt, obwohl dieser Parameter für die Risikobewertung völlig ungeeignet ist.
Es ist ein System, das alle in dieselbe Struktur zwingt - unabhängig davon, wie sie leben, was sie brauchen oder welche Risiken sie selbst für sinnvoll halten.
Was dem zugrunde liegt, ist wieder das Robin-Hood-Prinzip: Nehmen, um zu geben. Dieses Modell hat, anders als die Legende, wenig mit Gerechtigkeit zu tun. Es ist eine Umverteilung, die weder Bedürfnisse abbildet noch Wahlfreiheit kennt.
Strukturell ähnelt das der Steuerlogik: eine Abgabe, die nicht auf Zustimmung beruht, und damit Bevormundung ist.
Natürlich löst auch dieses Thema Kontroversen aus. Keine Frage. Wie auch immer man dazu steht, für uns war es zu starr, zu teuer, und vor allem nicht auf internationale oder nomadische Lebensformen zugeschnitten.
Wir wollten eine Absicherung, die sich an unseren tatsächlichen Bedürfnissen orientiert - nicht an abstrakten Vorgaben, auf die wir keinen Einfluss haben.
Solange man in Deutschland gemeldet ist, gibt es keine Wahl. Erst mit der Abmeldung endet diese Pflicht - und das macht den Blick frei auf internationale Modelle, die weltweite Risiken abdecken.
Wir haben uns verschiedene Angebote angesehen. PassportCard war dabei eine der ersten Ideen. Die Vorstellung, dass eine Mastercard alle medizinischen Kosten direkt übernimmt, wirkt elegant. In der Praxis stimmt das Bild jedoch nicht ganz: in vielen Ländern funktionieren direkte Abrechnungen schlicht nicht. Und die Tarife waren für uns deutlich teurer, ohne einen Vorteil zu bieten, der zu unserem Leben passt.
Wirklich weitergeholfen hat uns die Beratung bei grenzenlos sicher. Kein Callcenter, keine abstrakten Standardantworten, sondern Menschen, die Nomaden und Langzeitreisende tatsächlich verstehen - und in vielen Fällen selbst so leben.
Dort bekamen wir erstmals einen klaren Überblick über Tarife, die wir allein nie gefunden hätten. Zusätzlich erhielten wir Rabatte und - wichtiger noch - einen direkten WhatsApp-Kontakt zu einem Berater, der uns bei Fragen und in Notfällen jederzeit zur Verfügung steht.
Am Ende haben wir uns für April International entschieden, einem Anbieter mit Sitz in Frankreich. Später haben wir gesehen, dass es diesen Tarif auch bei Across Global Cover gibt - klar strukturiert und mit einem preiswerten Beratungspaket. Nach allem, was wir bisher überblicken, ist das derzeit die überzeugendste Lösung.
Wir nutzen den „Smart“-Tarif, etwa 85 Euro pro Person und Monat - rund 40 Prozent dessen, was wir vorher zahlten. Er deckt die großen Risiken ab: Krankenhaus, Operationen, Rettung, Krankentransport. Also genau jene Dinge, die existenziell werden können.
Ambulante Routinebehandlungen - der Besuch beim Arzt bei einer Verstauchung, einer Erkältung oder für einen kurzen Check - sind nicht abgedeckt. Das ist eine bewusste Entscheidung.
Arztbesuche sind in vielen Ländern deutlich günstiger als in Deutschland; oft bleiben sie unter 100 Euro. Wir brauchen Ärzte sehr selten - und wenn, dann nicht „wegen des Krankenscheins“, sondern weil tatsächlich etwas zu klären ist.
Wir haben es durchgerechnet: Ein Tarif mit ambulanter Versorgung würde sich erst ab etwa 16 Arztbesuchen pro Jahr lohnen - jedes Jahr aufs Neue. Das passt vielleicht zu anderen Familien, aber nicht zu uns. Ich war in den letzten drei Jahren genau einmal beim Arzt - und das nur wegen eines Krankenscheins.
Für uns wäre eine Vollkasko-Lösung daher wenig sinnvoll gewesen. Entscheidend war der Schutz vor den großen Risiken, nicht eine Versicherung des Alltags.
Das gilt natürlich nicht für alle. Für Menschen mit chronischen Erkrankungen, regelmäßigen Behandlungen oder einer geplanten Schwangerschaft stellt sich die Lage ganz anders dar. Für unser Leben hingegen - mobil, eigenverantwortlich, selten krank und ohne institutionelle Nachweispflichten - ist dieses Modell ideal.
Telefonie und mobile Daten
Steuern, Firma, Schule, Krankenversicherung - das sind große Themen. Doch unterwegs merkt man schnell: Man kann strukturell perfekt aufgestellt sein, und trotzdem fliegt einem der Alltag um die Ohren, weil man nicht erreichbar ist.
Und hier ist “erreichbar” im klassischen Sinn gemeint:
– mit einer Nummer, unter der man tatsächlich angerufen werden kann,
– die in Formularen als deutsche Mobilnummer akzeptiert wird,
– und die an keine Adresse gekoppelt ist.
Es ist erstaunlich, wie viele Systeme immer noch voraussetzen, dass jeder Mensch ordnungsgemäß gemeldet und dauerhaft in Reichweite eines deutschen Funkmasts lebt.
Telefonnummern, Festnetz und Mobilfunkverträge sind in Deutschland eng mit der Meldeadresse verknüpft. Man denkt selten darüber nach, weil es im Alltag reibungslos funktioniert. Selbst im Urlaub bleibt man erreichbar und muss höchstens an das Roaming denken.
Wir sind jedoch nicht auf Urlaub. Wir haben keine deutsche Adresse mehr. Und damit verschwindet die Grundlage, auf der viele dieser Dienste stehen. Anbieter müssen eine zustellbare Anschrift nachweisen, um Identitäten zu prüfen, Verträge zuzuordnen und rechtliche Vorgaben wie KYC („Know Your Customer“) einzuhalten.
Wie bleibt man also telefonisch erreichbar? Und wie sorgt man für stabile mobile Daten, wenn man nicht „im Urlaub“, sondern dauerhaft unterwegs ist?
Für die Telefonie nutzen wir satellite - eine App, die eine vollwertige deutsche Mobilnummer bereitstellt und komplett ohne SIM-Karte arbeitet. Die Gespräche laufen über mobile Daten oder WLAN. Die einzige Voraussetzung ist eine einmalige Adressverifizierung - und die lässt sich nur durchführen, solange man noch in Deutschland lebt.
Der eigentliche Vorteil: Diese Nummer - wir konnten sogar unsere alten portieren - bleibt bestehen. Sie reist mit uns, unabhängig von Ort und Land. Keine Bindung an einen Funkmast, keinen Vertrag, keine Adresse.
Es gibt nur eine Einschränkung: SMS funktionieren nicht. Das liegt nicht an satellite, sondern an der Architektur der SMS selbst. Sie nutzt ein eigenständiges Protokoll im Mobilfunknetz und ist nicht internetfähig. Moderne Dienste, auch Apps, senden über IP - SMS laufen über ein eigenes Protokoll im Mobilfunknetz (GSM/UMTS/LTE).
Für unseren Alltag war das insofern relevant, als manche Dienste bei der ersten Einrichtung noch immer auf SMS bestehen - vor allem (klassische) Banken, einzelne Apps und identitätsrelevante Systeme.
Unsere Lösung war pragmatisch: Noch vor der Abmeldung haben wir alle wichtigen Dienste einmal durch den notwendigen SMS-Durchlauf geschickt - eingerichtet, verifiziert, bestätigt. Seitdem laufen sie stabil weiter, ohne dass ständig neue Codes nachgereicht werden müssen.
Viele Anbieter lösen sich ohnehin von SMS-Verifizierungen. Irgendwann schleicht sich hoffentlich auch dieses Problem aus - wie die Faxnummer, die niemand mehr kennt, der jünger ist als wir.
Das größere Thema waren die Daten. Die meisten eSIM-Angebote sind für kurze Reisen konzipiert, nicht für ein dauerhaftes Leben unterwegs - Volumenpakete, die ablaufen, regionale Begrenzungen, tarifliches Kleingedrucktes.
Für Urlauber ist das praktisch: Paket buchen, verbrauchen, heimkehren - und das Heimnetz übernimmt wieder.
Für jemanden, der auf unbestimmte Zeit unterwegs ist, bedeutet das Verwaltung: Restvolumen im Blick, Ablaufdaten im Kopf, ständiges Nachkaufen, Tarife vergleichen. Datenpakete sind gut für Menschen, die ab und zu reisen. Für Menschen, die immer unterwegs sind, ist das anstrengend.
Eine Zeit lang hatten wir Nomad im Blick: flexible eSIMs, Datenpakete für viele Länder, die Möglichkeit, Volumen zu teilen. Das Konto kann über eine Geschäftsadresse laufen, und Daten lassen sich einzeln zuweisen. Mit der LLP im Rücken wäre das problemlos möglich gewesen.
Das System ist gut, aber es verlangt Aufmerksamkeit: nachkaufen, verteilen, optimieren. Wir merkten, dass wir etwas anderes suchen - keine fortlaufende Tarifpflege, sondern eine Infrastruktur, die einfach da ist.
Die bessere Lösung fanden wir schließlich bei Pangiapass: ein junger Anbieter mit einer ebenso schlichten wie konsequenten Idee - weltweite Datenflatrate, unbegrenzt, ohne Volumenpflege oder Tarifwechsel. Ein Jahrestarif, und die Verbindung steht überall. Keine Überraschungen, keine Zusatzpakete. Für uns liegt der Preis - dank eines Sonderangebots - bei 19 Euro pro Person und Monat.
Am Anfang hakte die Technik an ein paar Stellen, doch der Support war makellos - wieder über WhatsApp, direkt und persönlich. Eine kurze Nachricht, eine klare Antwort. So schlicht kann es sein.
Das ist ein Muster, das sich durch viele unserer neuen Strukturen zieht: weg von Warteschleifen, hin zu echten Menschen.
Einordnung
Was ich hier beschrieben habe, ist keine Anleitung. Es ist ein Fundbericht aus den tieferen Schichten der deutschen Bürokratie - und aus dem Versuch, ein Leben zu bauen, das dort nicht vorgesehen ist.
Die Entscheidungen, die wir getroffen haben, passen zu unserer Familie, unserer gesundheitlichen Lage, unserer finanziellen Basis, unserer Risikobereitschaft und dem Zeitpunkt, an dem wir gegangen sind.
Andere Familien, andere berufliche Situationen oder andere gesundheitliche Hintergründe würden wahrscheinlich zu einem anderen Setup führen.
Systeme ändern sich. Anbieter ändern ihre Konditionen. Staaten passen Regeln an. Unser Leben wird sich mitbewegen. Beweglichkeit gehört für uns zur Grundausstattung.
Vermutlich wird dieser Text in einem Jahr an einigen Stellen veraltet sein. Vielleicht gibt es dann eine aktualisierte Version. Vielleicht auch nicht.
Ein Leben ohne Meldeadresse befreit nicht von Verantwortung. Im Gegenteil - es macht sie sichtbarer.
Es ging uns nicht darum, Verantwortung abzugeben. Sondern darum, sie selbst zu tragen - ohne automatische Zuschreibungen und ohne eine Verwaltungslogik, die vorgibt, unser Leben besser zu kennen als wir selbst.
Man kann sich nicht darauf verlassen, dass ein System Dinge im Hintergrund erledigt. Man muss sie selbst organisieren - bewusst und mit klarem Blick. Und das ist, bei aller Freiheit, auch Arbeit.
Viele Familien haben andere Voraussetzungen - gesundheitlich, finanziell, beruflich, schulisch. Manche brauchen dichtere Netze, manche stabilere Strukturen. Auch das ist richtig.
Ein Setup ist immer ein Spiegel seiner Erbauer - nicht der Welt.
Ein Leben ohne Adresse ist manchmal absurd, manchmal mühsam, manchmal befreiend - aber immer lehrreich. Genau deshalb wollte ich euch einmal durch unseren Maschinenraum führen.
Danke fürs Mitkommen!
Wenn ihr selbst mit solchen Themen ringt oder darüber nachdenkt, was ein Leben ohne Adresse bedeuten könnte - oder wenn dieser Text an irgendeiner Stelle etwas angestoßen hat - dann schreibt mir gern in den Kommentaren.



Herzlichen Dank für den detaillierten, hochinteressanten und lehrreichen Einblick in Euren Maschinenraum... !
Glück Auf für Eure Familie und Liebe Grüße