Dezember
Was vom Jahr geblieben ist.
Die Bucht von Souda glänzt noch metallisch nach, als hätte jemand eine dünne Folie über das Wasser gelegt. Eben noch hatte sie diesen silbrigen Glanz der Nacht. Jetzt kommt ein milder Goldton durch. Später wird daraus ein tiefes Blau.
Die Sonne trifft schräg auf die Hänge von Akrotini, die die Bucht von Norden her umschließen. Sie warten noch darauf, dass der neue Tag die Dunkelheit aus ihren Furchen leckt.
Ich sehe die Fähre, wie sie die Bucht verlässt und nach Piräus fährt. Wie sie sich langsam durch das Wasser schiebt. Es ist dasselbe Schiff, das uns vor ein paar Wochen an diese Küste brachte.
Während ich ihr nachblicke, meldet sich der letzte Dezember zurück. Das waren die Tage, in denen aus einer noch vagen Idee ein Entschluss wurde, der nun unser Schicksal bestimmt.
Damals lebten wir in unserem alten Fachwerkhaus: dicke Balken, Lehmwände, ein Tisch, der schwer im Raum stand. Es war ein schönes Haus - vertraut, voll Geschichte, ein Ort, an dem man bleiben konnte.
Und doch war das Leben eng. Behördlicher Druck, finanzielle Spannungen, Tage, die wir ausführten, statt sie mit Leben zu erfüllen.
Anfang Dezember letzten Jahres tauchte dann dieser Gedanke auf. Ein kleiner, fast spielerischer Satz am Küchentisch: „Was wäre, wenn …?“
Das ließ uns nicht los. Immer wieder kamen wir darauf zurück. Am Abend, in den nächsten Tagen, in der Woche drauf. Und irgendwann verschob sich dann die Frage: Es ging nicht mehr ums Ob, sondern um das Wie.
Der Entschluss war da. Wir machen es!
Natürlich war uns zunächst ein wenig mulmig zumute. Diese Art von Mulmigkeit, die sich einstellt, wenn man spürt, dass sich gerade etwas Großes in Bewegung setzt - ein Eisberg, der an einer Gletscherkante bricht und dann als Scholle in den Süden treibt.
Jetzt, kurz vor Weihnachten, merke ich, wie viel von diesem Jahr noch in mir steckt. Als würde der Dezember, dieser Schelm, eine Inventur von mir verlangen. Ein Resümee:
Was war? Was ist? Und wie geht es uns damit?
Es gäbe vieles aufzuzählen. Und doch bleibt vor allem eines hängen: Wie sehr sich unser Rhythmus verändert hat.
Damals waren unsere Tage streng getaktet - Termine, Pflichten, Bescheide. Als würde irgendwo eine Blaskapelle spielen. Aufdringlich und rücksichtslos. Der Alltag - ein Jahrmarkt, der zum Marsch aufbläst. Er spielt und spielt und spielt. Und wir tanzen mechanisch mit.
Es muss funktionieren - hieß es. Und wenn es muss, dann wird der Tanz zur Pflicht. Erst linkes Bein, dann rechtes Bein. Arme hoch, dann kehrt. Und dann nochmal von vorn!
Das ist es, was heute anders ist. Kein Takt mehr, der von außen kommt. Der Morgen setzt leise an - fast durchlässig. Das Wetter verschiebt unsere Pläne mehr als der Kalender. Ein windiger Tag bringt uns nach drinnen, ein stiller, heller zieht uns hinaus.
Die Tage sind porös geworden. Es gibt Zwischenräume, in denen uns nichts drängt: ein Blick aufs Meer, ein Gespräch im Vorbeigehen, ein stiller Moment am Tisch, eine Frage der Kinder.
Die Aufgaben sind noch da - aber sie haben einen anderen Ton angenommen. Der Tag riecht wie Salbei und kleidet sich in Nebelblau: weich, atmend und weit. Ein Rhythmus. Unserer Rhythmus.
Und das ist das eigentliche Privileg unseres Lebens hier. Dass der Tag jetzt uns gehört.
Jetzt, da erneut Dezember ist, spüre ich vor allem Ruhe. Die Tage werden kürzer, aber nicht dichter. Keine Listen, die erst abgearbeitet werden müssen, bevor es endlich friedlich wird und das Fest beginnen kann.
Wir zünden noch immer die kleinen Räucherkerzchen an, die wir von zuhause mitgebracht haben. Grottendorfer. Ein warmer Weihrauchduft, der kurz im Raum hängt. Ein Rest des Alten und leicht genug, um mitzuziehen.
Die Fähre zieht jetzt langsam aus der Bucht. Und wenn ich länger nicht hinschaue, verpass ich den Moment, in dem sie sich vom Horizont ablöst.
Zum ersten Mal steht auf dieser Reise ein Weihnachtsbaum bei uns. Eine Zypresse aus den Weißen Bergen. Den Ständer haben wir uns vor Kurzem zugelegt. Die Lichter fehlen noch. Heute Abend kommen ein paar Geschenke darunter.
Es ist diese Zeit im Jahr.
Wo auch immer ihr gerade seid: Ich wünsche euch ein friedliches Weihnachtsfest.




Sehr schön geschrieben! Ich erinnere mich an diese Veränderung des Rhythmus, als ich auf Weltreise war. Ein Jahr lang gab es keine Verpflichtungen, nur den Tag, und was wir wollten. Das hat sich für immer eingeprägt, ich bin ein wenig süchtig danach geworde und mache das so oft ich kann so. Aber ihr habt es ganz getan. Das ist toll!
& Fröhliche Weihnacht! Metaxa Spyringitis!