Der Herbst ist die große Stunde der Dichter – und eher noch der Schwermütigen unter ihnen. Es ist die Zeit, in der jeder Abschied nimmt: von langen Sommerabenden mit Freunden, vom Licht, das auch nach neun noch Wärme auf die Haut legt, von Urlaubstagen, Freibädern und Biergärten. Von jener Leichtigkeit, in der weder Heizung noch künstliches Licht gebraucht werden – und selbst die alte Glühbirne nicht gebraucht wird, obgleich sie längst selbst schon Geschichte ist.
Nun reicht es für die Poesie eigentlich schon, ein paar bunte Blätter, einen verwelkten Rosenstrauß und einen Hauch Weltschmerz über die Stimmung zu streuen – fertig ist das große Gefühl. Gut genug für den Blick, den ein Hund aufsetzt, wenn sein Herrchen oder Frauchen das Haus verlässt und er fürchtet, es könnte niemals wiederkehren.
Ein Stück dieser Melancholie tragen wir im Moment auch in uns. Natürlich.
Wir haben in den vergangenen Wochen viele Abschiede gefeiert – wobei das Wort „feiern“ in diesem Zusammenhang einen seltsamen Beiklang hat. Wir haben viel Anteilnahme erfahren: in Form von Umarmungen, kleinen Karten, Einladungen zu einem „letzten Mahl“, Geschenken für die Reise und vielem mehr.
Ein herzliches Dankeschön dafür!
Auch die kritischen Stimmen klingen inzwischen milder. Mit Melancholie im Herzen lässt sich schwer streiten – und kleinlich wird nur, wer es sich im Alltagstrott allzu bequem gemacht hat. Dafür ist jetzt keine Zeit.
In zwei Wochen brechen wir auf.
Wir werden das so unspektakulär wie möglich halten und kein großes Aufheben darum machen.
Zunächst gilt es noch, die letzten bürokratischen Hürden zu nehmen, die unser lieber Staat für Menschen bereithält, die nicht recht ins Raster passen: Geburt, Kindergarten, Schule, Ausbildung, Beruf, Rente – und schließlich Friedhof. Alles verknüpft mit einer festen Meldeadresse, einer Steuer-ID und der obligatorischen Rentenversicherungsnummer.
Pathos wird dabei kaum aufkommen – und auch gar keine Zeit dafür sein.
Ob wir es noch schaffen, vor der Abfahrt einen weiteren Newsletter aufzusetzen, ist ungewiss. Im Moment sieht es nicht danach aus. Umso mehr möchte ich diese Gelegenheit nutzen, den Cliffhanger vom letzten Mal aufzulösen und ein paar kleine Updates zu geben.
Warum machen wir das?
… hatte uns Micha in unserem gemeinsamen Interview gefragt. Ich – Holm hier – möchte das so knapp wie möglich für mich beantworten. Anja hat sicher ähnliche Gründe, aber für sie kann und will ich nicht sprechen.
Abgesehen von all den bekannten Push- und Pull-Faktoren – von der Schulpflicht über die düsteren Jobaussichten für alte weiße Männer in einem woken Umfeld, von der Verzweiflung an der Bürokratie bis hin zur blanken Abenteuerlust – waren es letztlich zwei Gründe, die den Ausschlag gegeben haben:
Endliche Lebenszeit
Mit Mitte fünfzig bleiben mir – so Gott will – vielleicht noch zwei Jahrzehnte eines aktiven Lebens. Danach wird es wohl schwerer werden, neue Projekte zu beginnen. Und genau an diesem Punkt stellt sich mir eindringlich die Frage, wie ich diese beiden Jahrzehnte verbringen möchte.
Die Zahl der plausiblen Alternativen lässt sich inzwischen an einer halben Hand abzählen. Das Haus, das ich mit eigenen Händen mit aufgebaut habe, zu verkaufen und mit Familie, Hab und Gut dauerhaft auf Reisen zu gehen, ist eine dieser zweieinhalb Optionen. Und es ist für mich eindeutig diejenige, die am besten auf diese Frage antwortet – die für mich stimmigste, ja die einzig richtige.
Dieser Schritt ist nicht politisch motiviert, wie manche vermutet haben. Wir reisen auch nicht „aus“. Ich brauche Herausforderungen – psychisch wie physisch.
Auch wenn das klischeehaft klingt: Ohne sie kann ich nicht. Dazu kommt eine Mission: Ich möchte Gründern beim Gründen helfen, ein Unternehmen aufbauen, neue Freunde in aller Welt gewinnen. Das alles kann ich nur mit echter Freiheit ernsthaft angehen.
Ich bin also nicht auf der Flucht. Ich bin auf dem Weg – immer noch – zu dem Menschen, der ich sein, der ich werden will.
Die Zukunft unserer Kinder
Das ist der zweite wirklich entscheidende Grund.
Ein – inzwischen ehemaliger – Freund sagte mir vor ein paar Monaten, wir würden unseren Kindern mit diesem Vorhaben die Zukunft stehlen.
Gemeint war dabei jene Art von Zukunft, die viele als Fundament unserer Gesellschaft betrachten: vorgezeichnet in der Schule, vorgelebt von den Eltern, unhinterfragt in jeder politischen oder sozialen Diskussion.
Ich sehe das anders. Wir nehmen unseren Kindern ihre Zukunft nicht – wir eröffnen ihnen eine andere. Natürlich schließen wir damit gewisse Dinge aus, aber so ist es immer. Jede Entscheidung bedeutet auch Verzicht, und gerade das ist der Punkt.
Denn man kann Kindern keine Zukunft „geben“, indem man ihnen die Gegenwart nimmt. Indem man sie in eine Form zwingt, die sie selbst meist gar nicht wollen. Wer träumt in der Schulzeit ernsthaft davon, eines Tages Bürokauffrau oder Steuerberater zu werden?
Bildung ist mehr als ein Lehrplan. Sie reicht weit über das hinaus, was eine Schule je vermitteln kann. Und sie besteht nicht allein aus Wissen – das wäre nutzlos.
Entscheidend ist, dass Kinder wie Erwachsene durch Erfahrung, Lernen, Ausprobieren – und auch durch Fehler – Fähigkeiten entwickeln, die sie wirklich interessieren. Und dass sie mit diesen Fähigkeiten anderen Menschen helfen können. Probleme lösen. Nützlich sein.
Genau darin liegt letztlich die Grundlage jeder Wirtschaft – und die Basis, auf der wir unseren Lebensunterhalt verdienen.
Das wollen wir bei unseren Kindern fördern, so gut wir können. Wir wollen es ihnen vorleben.
Erfolg bedeutet für uns: Kannst du mit dem, was du kannst – was immer es ist – anderen nützlich sein? Wenn nicht, dann gibt es einen wichtigen Grund um weiterzulernen, sich zu entwickeln, an sich zu arbeiten.
Ich bin zwar grundsätzlich gegen Schulzwang und empfinde es als unerträgliche Bevormundung, wenn eine Dame vom Amt meint, mir vorschreiben zu müssen, welchen Umständen ich meine Kinder auszusetzen habe. Doch möchte ich klarstellen: Wir kritisieren niemanden.
Uns ist bewusst, dass unser Weg viele Voraussetzungen hat, die für die meisten nicht gegeben oder schlicht nicht realisierbar sind. Deshalb liegt es uns fern, anderen vorzuschreiben, wie sie ihr Leben oder die Bildung ihrer Kinder gestalten sollen.
Im Gegenteil: Jeder muss das für sich selbst entscheiden. Misstraut daher bitte jedem, der eine allgemeingültige Formel verspricht. Diese gibt es nicht.
Unsere Entscheidung passt für uns, hier und jetzt. Wir stehen dahinter. Aber sie ist kein Lebensmodell für alle und jeden – und soll es auch gar nicht sein. Wie könnte sie es?
Abschiedsfeier
Am vergangenen Samstag haben wir unsere letzte Party hier in Taubenheim gefeiert. Manche der eingeladenen Freunde konnten nicht dabei sein, andere kamen überraschend. Und an einigen Tischen gab es nach vielen Jahren ein Wiedersehen.
Wir möchten uns bei allen bedanken, die gekommen sind. Es war uns eine Ehre, auf diese Weise Abschied zu nehmen. Vielleicht sehen wir einige von euch nie wieder – wer weiß das schon.
Auch Susan und Micha, die unser Haus übernehmen werden, waren dabei. Sie haben uns in den letzten Wochen unglaublich unterstützt. Das war berührend, und wir sind zutiefst dankbar dafür. Aus Käufern sind Freunde geworden – schöner kann es kaum sein.
Micha hat mich schließlich überrumpelt und überredet, eine kleine Rede zu halten. Er hatte extra Mikrofon und Lautsprecher mitgebracht – hier der Beweis:
Die Rede war völlig spontan und ohne Plan, aber eine gute Erfahrung: unsere Gäste ein wenig formeller anzusprechen, Danke zu sagen und ein paar Worte zum Abschied zu finden. Danke, Micha, dass du uns diesen Moment ermöglicht hast.
Öffentlichkeit
Inzwischen sind wir in der Zeitung gelandet – genauer gesagt: gleich in mehreren Ausgaben der Sächsischen Zeitung (SZ):
Dazu sind wir ein wenig wie Maria zum Kind gekommen.
Eigentlich wollte die Reporterin - Uta Büttner - über die Übergabe von Anjas Yogastudio berichten. Was sie auch getan hat. Doch dann hat sie offenbar mehr Gefallen an unserer Geschichte gefunden, einen Interviewtermin vereinbart, und kurz darauf war der Artikel erschienen.
Davon erfahren haben wir übrigens erst über Freunde.
Nun gut, jetzt ist es draußen. Und der Text ist ganz gut gelungen - nichts, was wir sonst nicht auch sagen würden.
Der Text hat uns viele neue Abonnenten für diesen Newsletter gebracht. Also: ein herzliches Willkommen an alle, die neu dabei sind! Danke für euer Vertrauen und euer Interesse – wir wissen das sehr zu schätzen.
Wir wollen hier in erster Linie von unserem Leben erzählen – und nicht die x-te Version von Reiseberichten liefern, die es ohnehin schon zuhauf gibt.
Morgen haben wir außerdem noch einen Termin mit der Morgenpost. Mal sehen, was dabei herauskommt!
Das war’s für heute. Unser Abreisetermin – der 15.10.2025 – steht nach wie vor. Erstaunlich eigentlich, dass sich daran nie etwas geändert hat und bisher alles glatt verlaufen ist. Es gibt zwar noch zwei, drei offene Punkte, die vielleicht für eine kleine Verschiebung sorgen könnten – aber wir rechnen nicht wirklich damit.
Bis dahin bleibt noch unglaublich viel zu tun. Ihr werdet also – aller Voraussicht nach – erst nach der Abreise wieder von uns hören. Bleibt gesund und wohlauf!